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Thomas Mann:
Der Audiovisuelle Urknall

vom 22. Januar 1929

Bei einem Festakt der Lessing Hochschule wurde am 31.10.2001 Folgendes gesagt

 … auch eine kleine (literatur)historische Rarität gezeigt, die kurz zuvor aufgetaucht und der Lessing-Hochschule vom Berliner Literaturhaus zur Verfügung gestellt worden war: ein ca. dreiminütiger Filmausschnitt vom 22. Januar 1929, auf dem Thomas Mann zu sehen und zu hören ist, der – auf Einladung der Lessing-Hochschule und aus Anlass des 200jährigen Lessinggeburtstages – über Lessing spricht.

Vom einstigen Filmdokument ist nur noch der Anfangsteil erhalten. Doch der hat es wahrlich in sich: Was Thomas Mann, der bei dieser Gelegenheit erstmals in eine Kamera mit Mikrophon spricht, uns über seine eigene Wahrnehmung und Befindlichkeit angesichts der bedrängenden Erfahrungswucht dieser neuen Distanzmedien mitteilt, mutet für zeitgenössische Ohren geradezu prophetisch an. Spricht er doch nichts Geringeres an, als unsere eigene, längst ebenso aufdringliche wie bedrängende Doppelerfahrung der Entmachtung von Raum und Zeit: Wer die harte Schale des hegenden Raumes („die vier Wände eines Saales“) verliert, wird unwiderruflich auch zum schutzlosen Jetztzeitwesen; ein Zeitgenosse ohne Rückzugschance in Raum und Zeit.

Thomas Mann, dieser so kluge wie unbestechlich genaue Beobachter seiner Zeit, wird uns in einem der nächsten Studientrimester mit seinen „Josephsromanen“ eine längere Wegstrecke begleiten (s. Vorschau). Mit den nachstehenden Sätzen dieses sensationellen Filmdokuments (welches auch in Meran zu sehen sein wird!), möchten wir Ihre Neugier auf einen Autor und Denker lenken, der, wie kaum einer sonst, geeignet erscheint, uns neue Einsichten unserer Existenz zu erschließen.

Thomas Mann ist sichtlich und spürbar nervös

denn auch für einen im Umgang mit den Zeitungen und den frühen Radiostationen längst erfahrenen Medienprofi wie ihm ist dies eine völlig neue Situation: Am 22. Januar 1929, einem Dienstag, kommt er zum ersten Mal in ein Tonfilmstudio, das seinerseits zu den allerersten in Deutschland zählt. Am Vorabend hatte er in der Preußischen Akademie der Künste bei der Feier zum zweihundertsten Geburtstag des Aufklärers Gotthold Ephraim Lessing die Festrede gehalten

Ein singulärer Augenblick  – wie es sich bei diesem Hauptdarsteller geziemt – zugleich eine Art ziviler, gesitteter, ja vornehmer Urknall: Die deutsche Literatur tritt dem gerade beginnenden audiovisuellen Zeitalter bei. Wer, wenn nicht er, wer, wenn nicht der Autor von „Buddenbrooks“, „Tod in Venedig“ und „Zauberberg“, wer, wenn nicht der mit der Rede „Von deutscher Republik“ (1922) zum Repräsentanten der Demokratie und ihrer Kultur gewordene Thomas Mann sollte diesen Beitritt vollziehen?

 

 

Eine bis heute unschätzbare Quelle

Es ist unbekannt, ob die Zeitgenossen Gelegenheit hatten, das einzigartige Dokument, das daraus hervorging, je zu sehen und zu hören – es ist sogar sehr unwahrscheinlich, dass dies geschah: Zeugnisse einer öffentlichen Wirkung gibt es nicht. Es ist überdies nur mutmaßlich festzustellen, wo und wie die erste und einzige Tonfilm-Sequenz eines deutschen Schriftstellers der Weimarer Republik den Nationalsozialismus und den Zweiten Weltkrieg überstand.

Albert Einstein

schrieb unter dem 22. Juli 1928: „Ich versage mich auch sonst nicht, wenn es sich darum handelt, für Bildungseinrichtungen einzutreten, aber gerade der Lessing Hochschule gegenüber, deren Wirksamkeit mir seit langem bekannt ist, möchte ich besonders ausdrücken, für wie wertvoll und im höchsten Sinne gemeinnützig ich diese Einrichtung halte. Die Existenz der Lessing Hoch schule ist nach meiner Überzeugung schon darum von hoher Wichtigkeit, weil bei uns entschieden zu wenig getan wird, um die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung auch den nicht im Fach Stehenden zugänglich zu machen. Die Lessing Hochschule hat dieser Aufgabe seit vielen Jahren mit hohem Verantwortungsgefühl gedient, wie ja durch ihre Stellung im Bildungsleben und in der Öffentlichkeit allgemein anerkannt ist, und es erscheint mir als eine selbstverständliche Pflicht der Allgemeinheit, die Entwicklung dieses Institutes zu sichern und zu fördern.“

Willy Brandt

„Wir wissen alle, dass sich aus der zunehmenden Lebenserwartung neue gesellschaftliche Notwendigkeiten ergeben. Wir wissen außer dem, dass uns die Altersstruktur hier in Berlin vor besondere Aufgaben stellt (…). Berlin wird wieder etwas reicher dadurch, dass es diese Bildungshochschule wieder gibt.“

Willy Brandt bei der Neugründung der Lessing Hochschule am 26. Februar 1965

Hellmut Becker

„Deutschland ist nicht arm an bedeutenden Wissenschaftlern gewesen, aber es hat nicht sehr viele Persönlichkeiten besessen, die die Verbreitung von Wissenschaft auf qualitativ hohem Niveau so sehr zu ihrem Lebensziel gemacht haben wie Ludwig Lewin. Dieser hochgebildete Mann hat dieses Werk in Gemeinschaft mit seiner polnischen Frau Lola, geborene Heller, vollbracht, die trotz aller tragischen Erfahrungen auch den Rückweg nach Berlin wieder mit ihm gegangen ist. Noch einmal gelang es diesen beiden Menschen, das geistige Berlin für die Vermittlung von Wissenschaft und Kunst an breitere Schichten zu interessieren.“

Hellmut Becker, Direktor des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, im  Nachruf auf Dr. Dr.h.c. Lewin aus dem November 1967

Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen

 
 
Wilhelm von Humboldt
( 1767 – 1835 )

Ansprache an die Zukunft

Unserem Bildungswesen fehlen in der Tat Einrichtungen auf Universitätsniveau, die ,,unabhängig von Hochschulen“ oder wenn doch ,,nur in losem Verbande mit diesen“, eine ganzheitlich, synthetische Bildung anstreben und ein dialogisches und interaktives wissenschaftliches Studium jenseits von Fächergrenzen anbieten und pflegen.

 

Ein solches, die Vielfalt, Dezentralität und Humanität des Denkens und Handelns erst ermöglichendes Bildungsangebot ist um so wichtiger, je einseitiger Produktion und Verwertung von möglichst patentierbaren Wissensgütern in der Entwicklung des allgemeinen Hochschulwesens betont und belohnt werden.

 

Unser Bildungswesen selbst muß dringend auf den Prüfstand öffentlicher Diskurse. Bildung ist kein privates Gut. Sie wird es auch dadurch nicht, wenn sie privat finanziert und organisiert wird. Das Schicksal des Bildungswesens betrifft uns Alle.

 

Die Lessing Hochschule versteht sich als ein öffentliches Forum, das mehr und mehr von der privaten Initiative wacher, verantwortungsbewusster und höchstgebildeter Bürgerinnen und Bürger getragen wird, die das Ihre dazutun, den Druck der Öffentlichkeit groß genug werden zu lassen, um auch die Politik beim Umsteuern im Bildungswesen angemessen ,,einzubeziehen“.

 

Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Rektor der Lessing Hochschule zu Berlin.

Credo der Lessing Hochschule zu Berlin

Gemeinsames Lernen — genauer formuliert: gemeinsames lebenslanges Lernen — in komplexen wissenschaftlichen und moralischen Fragen, ist das Gebot der Stunde. Dieser Thematik fühlt sich die Lessing Hochschule zu Berlin verpflichtet. Sie ist ein ganz besonderer Ort für ein solches gemeinsames Lernen, ein Ort der höchsten Bildung, will sagen: ein Ort des gemeinsamen und unabhängigen, wissenschaftlich gestützten und ethisch reflektierenden Lernens angesichts komplexer Herausforderungen in Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

 

In der Lessing Hochschule sollen sich vor allem jene engagierten Persönlichkeiten begegnen, die sich in besonderer Weise um das Wohl und Wehe des Gemeinwesens sorgen und die wissen, dass ihre eigene Entwicklung und ihre Erfolge sowie die Entwicklung und Erfolge des Gemeinwesens in Kreislaufprozessen langfristig miteinander verbunden sind, die sich im überschaubaren kommunalen Umfeld ebenso beratend und meinungsbildend einsetzen, wie sie sich — über geeignete Medien — in über- und internationale Reformdiskussionen einschalten, die sich persönlich vor allem für Reformen und Weiterentwicklungen in Kultur, Wirtschaft und Politik einsetzen (möchten).  Persönlichkeiten, die bereit sind, sogar eigene Ressourcen, Zeit und Geld bereitzustellen, wenn sie eine geeignete Plattform, wie die Lessing Hochschule  sie bietet, finden, um den öffentlichen Dialog beispielsweise über das Gesundheitssystem, das Bildungssystem oder den Arbeitsmarkt so stark mitzubeeinflussen, dass sich die einsichtigen und reformwilligen Politiker getrauen Althergebrachtes gegen Reformbeschlüsse zu verwerfen und dabei mit Mehrheiten in den Parlamenten rechnen können.

 

Den starken, die politische Meinungsbildung dominierenden Interessengruppen fehlen auch heute noch die in ihrer Wirkung auf die Politik gleich starken oder noch stärkeren breiten öffentlichen Diskurse, in die sie sich mit ihren Argumenten hineinzubegeben haben. Erst die kritischen und kreativen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern von legitimen Partikularinteressen einerseits und den in anspruchsvollen öffentlichen Meinungsbildungsprozessen zum Ausdruck kommenden Haltungen und Zielvorstellungen des Gemeinwesens andererseits, lassen hoffen, dass tragfähige Konsensbildungen in der Bewältigung auch sehr komplexer Fragen, wie bei den beispielhaft genannten Aspekten, in Zukunft möglich und immer wahrscheinlicher werden.

 

Unsere Zukunft — im lokalen, regionalen und globalen Kontext — wird wesentlich davon abhängen, dass sich Plattformen und Foren, wie sie die Lessing Hochschule seit 1901 anbietet, für intelligente und glaubwürdige öffentliche Diskurse bilden können.

 

Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Rektor der Lessing Hochschule zu Berlin

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