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Prof. Dr. Martin A. Völker
Es Grünt im Orkus der Geschichte

Gedankenstolpersteine zur Geschichte der Lessing Hochschule

„In ein Vergessen tappt mein müder Schritt, / In blassen Wassern, über harte Wege, / Durch Stadt und Staub, ein Sturz in blinde Nacht.“ Otto Zarek, Jonathan (1918)
Die Berliner Lessing-Hochschule war seit ihrer Gründung und gerade während der Weimarer Republik ein Kommunikationsknotenpunkt des modernen, liberal ausgerichteten Bürgertums und der jüdischen Intellektuellen. Unter den Natio- nalsozialisten hatte diese für die Stadt hoch bedeutsame Einrichtung deshalb besonders zu leiden. Sie kann als Beispiel dafür dienen, wie nach 1933 Bildung ins Exil abwanderte oder sogar gänzlich ausgelöscht wurde. Eine kleine Zeitungsnotiz aus den „Goldenen Zwanzigern“ lässt erahnen, wel- ches Ausmaß die Vernichtung von Geisteskultur allein im Rahmen der Lessing- Hochschule später im Dritten Reich annahm: Am 4. November 1925 berichtet das Unterhaltungsblatt der in Berlin erscheinenden Vossischen Zeitung über das Lehrangebot der freien Hochschulen der Stadt im Wintersemester. Es wird ange- kündigt, dass in der Lessing-Hochschule u. a. Arthur Eloesser über Thomas Mann, Otto Zarek über Knut Hamsun und Ludwig Lewin, der Leiter der Einrichtung, über Georg Kaiser sprechen werden sowie Max Deri über die Kunst der Antike, Max Osborn über die Kunst des 19. Jahrhunderts, Paul Zucker über die Kunst der Gegenwart, Oskar Bie über Mozart und Erich von Hornbostel über musikalische Völkerkunde; William Cohn unternehme, so die Meldung, Führungen durch die asiatische Kunstsammlung. Diese nachrichtliche Aufzählung gibt einen hauchzar- ten Eindruck davon, wie breitgefächert und zugleich fundiert Kultur und Bildung an der Lessing-Hochschule verstanden wie vermittelt worden sind. Die aufgeführ- ten Dozenten waren herausragende Vertreter ihres Fachs, als Juden drohte ihnen das schlimmste Schicksal. Ludwig Lewin verlor sein Direktorat und konnte fliehen. Er ging zunächst nach Schweden, dann in die Schweiz nach Zürich, wo er mit Carl Gustav Jung zusam- menarbeitete. Lewin siedelte in die USA über, wo er eine Privatklinik zur Behand- lung psychischer Erkrankungen leitete, das Oceanside Gardens Sanitarium auf Long Island. 1964 ließ er sich wieder in Berlin nieder und kümmerte sich um die Neugründung der Lessing-Hochschule, die 1965 erfolgte. Der Literaturwissenschaftler und Theaterkritiker Eloesser war Vorsitzender des Schutzverbandes deutscher Schriftsteller und gehörte neben Leo Baeck, Martin Buber, Max Liebermann, Max Osborn und Jakob Wassermann dem Ehrenpräsi- dium des Kulturbundes deutscher Juden an. Er starb 1938 in Berlin, seine Frau Margarete, ebenfalls schriftstellerisch tätig, wurde nach Riga deportiert. Die ge- meinsamen Kinder Elisabeth und Max konnten emigrieren. Der Margarete-und- Arthur-Eloesser-Park an der Charlottenburger Gervinusstraße erinnert seit 2011 an das Schicksal dieser Familie. Der expressionistische Schriftsteller und Dramaturg Zarek ging zunächst nach Bu- dapest, schließlich nach England. 1954 kehrte er nach Berlin zurück, besorgte die Pressearbeit für das Schiller-Theater sowie für das Schloßpark-Theater und arbeitete ferner für den Rundfunk. 1958 verstarb Zarek. Die für Berlin maßgeblichen Kunstkenner und -deuter Deri, Osborn und Bie wur- den nach 1933 an der Fortsetzung ihrer Arbeit gehindert. Deri stand zudem der Berliner Ortsgruppe des Deutschen Monistenbundes vor, der 1933 verboten wur- de. Er verstarb als Exilant 1938 in Los Angeles. Osborn, dessen Bücher verbrannt wurden, war Vorsitzender des Verbandes Deutscher Kunstkritiker und gehörte zum Vorstand des Vereins Berliner Presse. Er ging nach New York und starb dort 1946. Bie war weithin bekannt als Chefredakteur der Neuen Rundschau sowie als glänzender Essayist, dessen Schriften nach 1933 keine neuen Auflagen erfahren durften. Er hielt auch an der Staatlichen Hochschule für Musik (heute Universität der Künste) Vorlesungen über moderne Musik, Oper und Tanz und starb 1938 nahezu mittellos in Berlin. In seiner 1922 veröffentlichten Arbeit Das Rätsel der Musik drückt Bie seine Faszination für den in der NS-Zeit verhassten Jazz aus. Er zeigt sich beeindruckt von der Wirkungskraft, die ihn an Arnold Schönberg erinnert, von den unangepassten Harmonien und der revolutionären Bewegtheit dieser Musikrichtung. Künstlerisch wie denkerisch inspiriert schreibt Bie: „Ich werfe alle überflüssigen Artikel von mir, alle zierlichen Schmuckworte, alle liebenswürdigen Verbindungsworte, schwupps, da liegen sie. Stelle mich auf den Jazzstandpunkt. Schlage Begriffe als Plakate in die Luft. Nagle sie mit starken Rhythmen fest. Gelenke werden locker. Glieder zappeln. Expressionismus trium- phiert.“ Hornbostel war eine Kapazität auf dem Gebiet der Musikpsychologie sowie der Erforschung außereuropäischer Musik. Er entwickelte u. a. Vorschläge für die Transkription exotischer Melodien, so der Titel eines Beitrags aus dem Jahr 1909, 116 den er zusammen mit dem Musikpsychologen Otto Abraham verfasste. Hornbos- tel leitete das von ihm und seinem Lehrer, dem Musikphilosophen Carl Stumpf, aufgebaute Berliner Phonogramm-Archiv, dessen herausragende Sammlung von Tondokumenten sich heute im Ethnologischen Museum in Berlin befindet. 1935 starb Hornbostel in Cambridge. Der Kunsthistoriker Cohn erforschte die ost- und südasiatische Kunst, bekleidete das Amt des Kustos des Berliner Völkerkundemuseums. Nach 1933 konnte er keine Vorträge mehr in der Lessing-Hochschule halten, wurde nach und nach aus seinem Beruf gedrängt. 1938 ging er nach Großbritannien, wo er nach dem Zweiten Weltkrieg seine fachliche Arbeit fortsetzen konnte. Cohn starb 1961 in Oxford.
Der Kunsthistoriker und Architekt Zucker war einer der wichtigsten Mitstreiter der Lessing-Hochschule, für die er 1928 den durch seine schlichte Eleganz beste- chenden Vortragssaal entwarf. Er veröffentlichte Beiträge und Bücher zur Kunst- geschichte der Theaterdekoration, zur Architektur des Kinos, zum Brückenbau, zur Entwicklung von Stadtbildern und zur Stadtplanung. Nach 1933 verlor Zucker seine Lehrtätigkeit an der Hochschule für bildende Künste, und es erfolgte seine Entlassung aus der Lessing-Hochschule, für die er seit 1916 tätig war. Noch im Juli 1933 meldet eine Abendausgabe der Vossischen Zeitung, dass die Lessing- Hochschule zwischen dem 19. August und dem 10. September 1933 eine Studi- enreise nach Südtirol und Venetien anbieten und Zucker die kunsthistorische und städtekundliche Führung übernehmen würde. Zucker emigrierte nach New York, wo er bis zu seinem Tod 1971 an der New School for Social Research Kunst- und Architekturgeschichte unterrichtete. Neben diesen Persönlichkeiten gab es andere Dozenten der Lessing-Hochschule, denen das Dritte Reich ein weiteres Wirken abgeschnitten und eine spätere Re- zeption verunmöglicht hat, darunter Otto Grautoff, Arthur Silbergleit und Renata von Scheliha. Grautoff war ein wichtiger Jugendfreund und Briefpartner Thomas Manns und ein Kenner der französischen Literatur. Zusammen mit seiner Frau Erna übersetzte er die Werke von Romain Rolland. Grautoff schrieb Künstlermo- nografien zu Nicolas Poussin, Auguste Rodin und Moritz von Schwind. Er publi- zierte zur Entwicklung der deutschen Buchkunst, außerdem gab er belletristische Beiträge heraus. Am 27. April 1937 erlag Grautoff in Paris, vor seiner Abreise nach New York, einem Herzinfarkt. Arthur Silbergleit vertrat die Richtung einer religiös-romantischen Lyrik, welche die moderne Zeit mit ihrer Ausbeutung von Mensch und Natur problematisierte. 1921 beschreibt Silbergleit die Aufgabe und das schwere Los der Schriftsteller: „Wir sind nur Tempeldiener am Wort unter der großen Kuppel Gottes, […] Diener unseres Glaubens an die Erneuerung des messianischen Reiches in der Welt, an die Wiederauferstehung der inneren Wahrheit, die uns höchste Schönheit und Göttlichkeit bedeutet. […] Ja, uns segne ein Gott oder uns hole der Teufel!“ 1943 wurde der Dichter in Auschwitz ermordet. Die Philologin Renata von Scheliha (1901 – 1967) hielt an der Lessing-Hochschule Vorträge, bis sie 1939 Nazideutschland verließ. In ihren Lehrveranstaltungen wid- mete sie sich den Gestalten und Themen der Antike. Als Kern und Basis ihrer Ar- beit fasste sie die, in der Kultur der Griechen fest verankerte, geistige Freiheit auf. Mit der Machtübernahme der Nationalsozialisten war es mit ebendieser Freiheit vorbei. Scheliha widerrief angesichts der Gleichschaltung der Lessing-Hochschule ihren Dozentenvertrag für das Wintersemester 1937/38, woraufhin sie ins Kultus- ministerium einbestellt wurde. Nach dem Beweggrund ihrer Kündigung befragt, antwortet sie dem Ministerialrat: „weil man über Freiheit jetzt nicht mehr spre- chen kann“. Der übergroßen Gefahr, der sie sich aussetzte und die sie mit ihren Worten heraufbeschwörte, war sich Scheliha durchaus bewusst. Ihren Freunden gegenüber verschwieg sie das Treffen im Ministerium, notierte es aber und for- mulierte ein Motto, das die Hinterbliebenen hätte trösten sollen, wenn sie selbst verschleppt worden wäre. Es ist ihrem Gedenkbuch, das 1972 erschien, entnom- men. Dieses Motto soll uns Mahnung und stärkende Hoffnung sein: „Hemmt uns! untilgbar ist das wort das blüht Übt an uns mord und reicher blüht was blüht.“

Albert Einstein

schrieb unter dem 22. Juli 1928: „Ich versage mich auch sonst nicht, wenn es sich darum handelt, für Bildungseinrichtungen einzutreten, aber gerade der Lessing Hochschule gegenüber, deren Wirksamkeit mir seit langem bekannt ist, möchte ich besonders ausdrücken, für wie wertvoll und im höchsten Sinne gemeinnützig ich diese Einrichtung halte. Die Existenz der Lessing Hoch schule ist nach meiner Überzeugung schon darum von hoher Wichtigkeit, weil bei uns entschieden zu wenig getan wird, um die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung auch den nicht im Fach Stehenden zugänglich zu machen. Die Lessing Hochschule hat dieser Aufgabe seit vielen Jahren mit hohem Verantwortungsgefühl gedient, wie ja durch ihre Stellung im Bildungsleben und in der Öffentlichkeit allgemein anerkannt ist, und es erscheint mir als eine selbstverständliche Pflicht der Allgemeinheit, die Entwicklung dieses Institutes zu sichern und zu fördern.“

Willy Brandt

„Wir wissen alle, dass sich aus der zunehmenden Lebenserwartung neue gesellschaftliche Notwendigkeiten ergeben. Wir wissen außer dem, dass uns die Altersstruktur hier in Berlin vor besondere Aufgaben stellt (…). Berlin wird wieder etwas reicher dadurch, dass es diese Bildungshochschule wieder gibt.“

Willy Brandt bei der Neugründung der Lessing Hochschule am 26. Februar 1965

Hellmut Becker

„Deutschland ist nicht arm an bedeutenden Wissenschaftlern gewesen, aber es hat nicht sehr viele Persönlichkeiten besessen, die die Verbreitung von Wissenschaft auf qualitativ hohem Niveau so sehr zu ihrem Lebensziel gemacht haben wie Ludwig Lewin. Dieser hochgebildete Mann hat dieses Werk in Gemeinschaft mit seiner polnischen Frau Lola, geborene Heller, vollbracht, die trotz aller tragischen Erfahrungen auch den Rückweg nach Berlin wieder mit ihm gegangen ist. Noch einmal gelang es diesen beiden Menschen, das geistige Berlin für die Vermittlung von Wissenschaft und Kunst an breitere Schichten zu interessieren.“

Hellmut Becker, Direktor des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, im  Nachruf auf Dr. Dr.h.c. Lewin aus dem November 1967

Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen

Wilhelm von Humboldt
( 1767 – 1835 )

Ansprache an die Zukunft

Unserem Bildungswesen fehlen in der Tat Einrichtungen auf Universitätsniveau, die ,,unabhängig von Hochschulen“ oder wenn doch ,,nur in losem Verbande mit diesen“, eine ganzheitlich, synthetische Bildung anstreben und ein dialogisches und interaktives wissenschaftliches Studium jenseits von Fächergrenzen anbieten und pflegen.

 

Ein solches, die Vielfalt, Dezentralität und Humanität des Denkens und Handelns erst ermöglichendes Bildungsangebot ist um so wichtiger, je einseitiger Produktion und Verwertung von möglichst patentierbaren Wissensgütern in der Entwicklung des allgemeinen Hochschulwesens betont und belohnt werden.

 

Unser Bildungswesen selbst muß dringend auf den Prüfstand öffentlicher Diskurse. Bildung ist kein privates Gut. Sie wird es auch dadurch nicht, wenn sie privat finanziert und organisiert wird. Das Schicksal des Bildungswesens betrifft uns Alle.

 

Die Lessing Hochschule versteht sich als ein öffentliches Forum, das mehr und mehr von der privaten Initiative wacher, verantwortungsbewusster und höchstgebildeter Bürgerinnen und Bürger getragen wird, die das Ihre dazutun, den Druck der Öffentlichkeit groß genug werden zu lassen, um auch die Politik beim Umsteuern im Bildungswesen angemessen ,,einzubeziehen“.

 

Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Rektor der Lessing Hochschule zu Berlin.

Credo der Lessing Hochschule zu Berlin

Gemeinsames Lernen — genauer formuliert: gemeinsames lebenslanges Lernen — in komplexen wissenschaftlichen und moralischen Fragen, ist das Gebot der Stunde. Dieser Thematik fühlt sich die Lessing Hochschule zu Berlin verpflichtet. Sie ist ein ganz besonderer Ort für ein solches gemeinsames Lernen, ein Ort der höchsten Bildung, will sagen: ein Ort des gemeinsamen und unabhängigen, wissenschaftlich gestützten und ethisch reflektierenden Lernens angesichts komplexer Herausforderungen in Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

 

In der Lessing Hochschule sollen sich vor allem jene engagierten Persönlichkeiten begegnen, die sich in besonderer Weise um das Wohl und Wehe des Gemeinwesens sorgen und die wissen, dass ihre eigene Entwicklung und ihre Erfolge sowie die Entwicklung und Erfolge des Gemeinwesens in Kreislaufprozessen langfristig miteinander verbunden sind, die sich im überschaubaren kommunalen Umfeld ebenso beratend und meinungsbildend einsetzen, wie sie sich — über geeignete Medien — in über- und internationale Reformdiskussionen einschalten, die sich persönlich vor allem für Reformen und Weiterentwicklungen in Kultur, Wirtschaft und Politik einsetzen (möchten).  Persönlichkeiten, die bereit sind, sogar eigene Ressourcen, Zeit und Geld bereitzustellen, wenn sie eine geeignete Plattform, wie die Lessing Hochschule  sie bietet, finden, um den öffentlichen Dialog beispielsweise über das Gesundheitssystem, das Bildungssystem oder den Arbeitsmarkt so stark mitzubeeinflussen, dass sich die einsichtigen und reformwilligen Politiker getrauen Althergebrachtes gegen Reformbeschlüsse zu verwerfen und dabei mit Mehrheiten in den Parlamenten rechnen können.

 

Den starken, die politische Meinungsbildung dominierenden Interessengruppen fehlen auch heute noch die in ihrer Wirkung auf die Politik gleich starken oder noch stärkeren breiten öffentlichen Diskurse, in die sie sich mit ihren Argumenten hineinzubegeben haben. Erst die kritischen und kreativen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern von legitimen Partikularinteressen einerseits und den in anspruchsvollen öffentlichen Meinungsbildungsprozessen zum Ausdruck kommenden Haltungen und Zielvorstellungen des Gemeinwesens andererseits, lassen hoffen, dass tragfähige Konsensbildungen in der Bewältigung auch sehr komplexer Fragen, wie bei den beispielhaft genannten Aspekten, in Zukunft möglich und immer wahrscheinlicher werden.

 

Unsere Zukunft — im lokalen, regionalen und globalen Kontext — wird wesentlich davon abhängen, dass sich Plattformen und Foren, wie sie die Lessing Hochschule seit 1901 anbietet, für intelligente und glaubwürdige öffentliche Diskurse bilden können.

 

Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Rektor der Lessing Hochschule zu Berlin

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