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Thomas Mann:
Worte zum Gedächtnis an Lessing

vom 22. Januar 1929

„Da ich hier sprechen soll, ist es begreiflich, dass ich mir Gedanken mache über die Eigentümlichkeit und den Reiz einer Situation, in die ich ganz überraschend gekommen bin und zwar durch die gütige Vermittlung der Berliner Lessing-Hochschule – wie ich denn doch dankend erwähnen möchte – .

Ich erinnere mich dabei einer anderen Lebenslage, die nun schon eine ganze Reihe von Jahren zurückliegt und der heutigen verwandt war, wenn sie ihr auch wohl noch nicht ganz gewachsen sein mag. Das war damals, als ich zum ersten Mal – es waren vielleicht einige Monate nach dem Kriege – für den Rundfunk einen Vortrag hielt und zwar auf Einladung des Südwestdeutschen Rundfunks in Frankfurt am Main.

Das Gefühl, das ich damals hatte, wiederholt sich heute in verstärktem Maße. Ich erlebte es damals zum ersten Mal, dass das Publikum, zu dem ich sprach, sich nicht in sinnlicher und gesellschaftlicher Gegenwart zu mir befand, nicht durch die vier Wände eines Saales zusammengefasst, sondern dass es unsichtbar, unhörbar, weit über die ganz Welt zerstreut, meinen Worten zuhörte, die mir beim Sprechen von Zeit zu Zeit einfielen.

Heute nun aber ist dieses Publikum, zu dem ich spreche, nicht nur räumlich von mir getrennt, sondern es ist in der Zeit von mit entrückt und ich spreche zu einem zukünftigen Publikum in die Zeit hinein.

Das ist das Fantastische und Exzentrische fast, möchte ich sagen, das ich in dieser Situation empfinde.“

Am 31. Oktober 2001 eröffnete die Lessing-Hochschule zu Berlin mit einem feierlichen Festakt, dem sich eine „Familienfeier“ der Freunde und Förderer, der Dozenten und Studenten dieser Hochschule anschloss – den Veranstaltungsreigen zum 100jährigen Geburtstag der traditionsreichen Berliner Bildungseinrichtung, an der alles gelehrt und gewirkt hat, was in den 20er und frühen 30er Jahren in deutscher Sprache und Kultur Rang und Namen hatte.

,,Ich gestehe, dass ich dem Reiz und dem fantastischen Zauber der Berliner Lessing Hochschule erlegen bin. Und Lessing ist es ja, mit dem – mit dessen Persönlichkeit – alles in Deutschland sich in diesen Tagen beschäftigt – anlässlich seines 200-jährigen Geburtstages. Auch ich hatte die Ehre, zu einem Berliner Publikum über Lessing sprechen zu dürfen – in der Akademie der Künste. Und es mag mir gestattet sein, bei dieser Gelegenheit aus dem Vortrag, den ich gestern dort gehalten habe, einige Episoden zu wiederholen: Ich sagte da, dass zuweilen der Begriff des Klassischen uns in einem mythischen Licht erscheinen will, dass die Bedeutung, die man gewöhnlich diesem Worte beilegt, dieser Sinn von Schulgerechtheit und Mustergültigkeit uns matt und trocken, abstrakt und blutlos anmutet, und wir haben dann Lust, seiner humanistischen Verblasenheit Charakter zu verleihen, in dem wir ihn bedienen.“ Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Albert Einstein

schrieb unter dem 22. Juli 1928: „Ich versage mich auch sonst nicht, wenn es sich darum handelt, für Bildungseinrichtungen einzutreten, aber gerade der Lessing Hochschule gegenüber, deren Wirksamkeit mir seit langem bekannt ist, möchte ich besonders ausdrücken, für wie wertvoll und im höchsten Sinne gemeinnützig ich diese Einrichtung halte. Die Existenz der Lessing Hoch schule ist nach meiner Überzeugung schon darum von hoher Wichtigkeit, weil bei uns entschieden zu wenig getan wird, um die Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung auch den nicht im Fach Stehenden zugänglich zu machen. Die Lessing Hochschule hat dieser Aufgabe seit vielen Jahren mit hohem Verantwortungsgefühl gedient, wie ja durch ihre Stellung im Bildungsleben und in der Öffentlichkeit allgemein anerkannt ist, und es erscheint mir als eine selbstverständliche Pflicht der Allgemeinheit, die Entwicklung dieses Institutes zu sichern und zu fördern.“

Willy Brandt

„Wir wissen alle, dass sich aus der zunehmenden Lebenserwartung neue gesellschaftliche Notwendigkeiten ergeben. Wir wissen außer dem, dass uns die Altersstruktur hier in Berlin vor besondere Aufgaben stellt (…). Berlin wird wieder etwas reicher dadurch, dass es diese Bildungshochschule wieder gibt.“

Willy Brandt bei der Neugründung der Lessing Hochschule am 26. Februar 1965

Hellmut Becker

„Deutschland ist nicht arm an bedeutenden Wissenschaftlern gewesen, aber es hat nicht sehr viele Persönlichkeiten besessen, die die Verbreitung von Wissenschaft auf qualitativ hohem Niveau so sehr zu ihrem Lebensziel gemacht haben wie Ludwig Lewin. Dieser hochgebildete Mann hat dieses Werk in Gemeinschaft mit seiner polnischen Frau Lola, geborene Heller, vollbracht, die trotz aller tragischen Erfahrungen auch den Rückweg nach Berlin wieder mit ihm gegangen ist. Noch einmal gelang es diesen beiden Menschen, das geistige Berlin für die Vermittlung von Wissenschaft und Kunst an breitere Schichten zu interessieren.“

Hellmut Becker, Direktor des Max-Planck-Institutes für Bildungsforschung, im  Nachruf auf Dr. Dr.h.c. Lewin aus dem November 1967

Der wahre Zweck des Menschen – nicht der, welchen die wechselnde Neigung, sondern welchen die ewig unveränderliche Vernunft ihm vorschreibt – ist die höchste und proportionierlichste Bildung seiner Kräfte zu einem Ganzen

Wilhelm von Humboldt
( 1767 – 1835 )

Ansprache an die Zukunft

Unserem Bildungswesen fehlen in der Tat Einrichtungen auf Universitätsniveau, die ,,unabhängig von Hochschulen“ oder wenn doch ,,nur in losem Verbande mit diesen“, eine ganzheitlich, synthetische Bildung anstreben und ein dialogisches und interaktives wissenschaftliches Studium jenseits von Fächergrenzen anbieten und pflegen.

 

Ein solches, die Vielfalt, Dezentralität und Humanität des Denkens und Handelns erst ermöglichendes Bildungsangebot ist um so wichtiger, je einseitiger Produktion und Verwertung von möglichst patentierbaren Wissensgütern in der Entwicklung des allgemeinen Hochschulwesens betont und belohnt werden.

 

Unser Bildungswesen selbst muß dringend auf den Prüfstand öffentlicher Diskurse. Bildung ist kein privates Gut. Sie wird es auch dadurch nicht, wenn sie privat finanziert und organisiert wird. Das Schicksal des Bildungswesens betrifft uns Alle.

 

Die Lessing Hochschule versteht sich als ein öffentliches Forum, das mehr und mehr von der privaten Initiative wacher, verantwortungsbewusster und höchstgebildeter Bürgerinnen und Bürger getragen wird, die das Ihre dazutun, den Druck der Öffentlichkeit groß genug werden zu lassen, um auch die Politik beim Umsteuern im Bildungswesen angemessen ,,einzubeziehen“.

 

Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Rektor der Lessing Hochschule zu Berlin.

Credo der Lessing Hochschule zu Berlin

Gemeinsames Lernen genauer formuliert: gemeinsames lebenslanges Lernen in komplexen wissenschaftlichen und moralischen Fragen, ist das Gebot der Stunde. Dieser Thematik fühlt sich die Lessing Hochschule zu Berlin verpflichtet. Sie ist ein ganz besonderer Ort für ein solches gemeinsames Lernen, ein Ort der höchsten Bildung, will sagen: ein Ort des gemeinsamen und unabhängigen, wissenschaftlich gestützten und ethisch reflektierenden Lernens angesichts komplexer Herausforderungen in Kultur, Wirtschaft, Politik und Gesellschaft.

 

In der Lessing Hochschule sollen sich vor allem jene engagierten Persönlichkeiten begegnen, die sich in besonderer Weise um das Wohl und Wehe des Gemeinwesens sorgen und die wissen, dass ihre eigene Entwicklung und ihre Erfolge sowie die Entwicklung und Erfolge des Gemeinwesens in Kreislaufprozessen langfristig miteinander verbunden sind, die sich im überschaubaren kommunalen Umfeld ebenso beratend und meinungsbildend einsetzen, wie sie sich über geeignete Medien in über- und internationale Reformdiskussionen einschalten, die sich persönlich vor allem für Reformen und Weiterentwicklungen in Kultur, Wirtschaft und Politik einsetzen (möchten).  Persönlichkeiten, die bereit sind, sogar eigene Ressourcen, Zeit und Geld bereitzustellen, wenn sie eine geeignete Plattform, wie die Lessing Hochschule  sie bietet, finden, um den öffentlichen Dialog beispielsweise über das Gesundheitssystem, das Bildungssystem oder den Arbeitsmarkt so stark mitzubeeinflussen, dass sich die einsichtigen und reformwilligen Politiker getrauen Althergebrachtes gegen Reformbeschlüsse zu verwerfen und dabei mit Mehrheiten in den Parlamenten rechnen können.

 

Den starken, die politische Meinungsbildung dominierenden Interessengruppen fehlen auch heute noch die in ihrer Wirkung auf die Politik gleich starken oder noch stärkeren breiten öffentlichen Diskurse, in die sie sich mit ihren Argumenten hineinzubegeben haben. Erst die kritischen und kreativen Auseinandersetzungen zwischen den Vertretern von legitimen Partikularinteressen einerseits und den in anspruchsvollen öffentlichen Meinungsbildungsprozessen zum Ausdruck kommenden Haltungen und Zielvorstellungen des Gemeinwesens andererseits, lassen hoffen, dass tragfähige Konsensbildungen in der Bewältigung auch sehr komplexer Fragen, wie bei den beispielhaft genannten Aspekten, in Zukunft möglich und immer wahrscheinlicher werden.

 

Unsere Zukunft im lokalen, regionalen und globalen Kontext wird wesentlich davon abhängen, dass sich Plattformen und Foren, wie sie die Lessing Hochschule seit 1901 anbietet, für intelligente und glaubwürdige öffentliche Diskurse bilden können.

 

Prof. Dr. Bernd Guggenberger

Rektor der Lessing Hochschule zu Berlin

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